Genre: 3D Third-Person-Action-Adventure RPG | Publikationsjahr: 2024 | Studio: Ninja Theory | Analyse von: Olivia Stutz, Lina Schembri
In der Fortsetzung des preisgekrönten linearen Action-Adventure-Spiels Hellblade: Senua's Sacrifice kehrt die schizophrene Protagonistin und Kriegerin Senua zurück und begibt sich auf eine brutale Überlebensreise durch die Mythen und Qualen der Wikingerzeit auf Island, um dort den durch die Nordmänner betriebenen Sklavenhandel zu beenden.
Das Sound Design knüpft direkt an seinen Vorgänger an: Auch in diesem Fall liegt der Fokus wieder auf einer wahrnehmungsorientierten Immersion, Subjektivierung und Narration. Die akustische Kulisse ist abermals darauf ausgerichtet, den Spieler:innen die Schizophrenie Senuas sensorisch zu vermitteln. Auditive Halluzinationen, wie etwa Stimmen und Geflüster von weiblichen und männlichen Identitäten, spielen eine zentrale Rolle. Im Allgemeinen werden diese als bösartiger wahrgenommen als im vorherigen Spiel. Darüber hinaus manifestieren sie sich in signifikanter Anzahl und äussern sich nun auch in Form von Schreien, Klagen und Bitten (bspw. von Toten). Die Geräuschkulisse in Senua's Saga: Hellblade II erhält nahezu eine dreidimensionale Körperlichkeit.
Die Soundscape des Spiels setzt einerseits, wie bereits zuvor, auf eine wahrnehmungsorientierte Perspektive, die eine totale Immersion via Simulation anstrebt. Die raue See und die karge Vulkanlandschaft Islands dient bspw. als Schauplatz für ein Sound Design von besonderer dunkler und brutaler Atmosphäre, das sich sehr oft auf mehrschichtige Sound-Archetypen stützt. Das immersive Sound Design erzeugt das Gefühl, als wäre man tatsächlich Teil der Geschichte, ja, als wäre man die Protagonistin selbst vor Ort. Feinste Umgebungsgeräusche (Wellen, Wind in Höhlen, Schritte auf Kies) werden so präzise platziert, dass sie mit der visuellen Szenerie in Einklang stehen. Der Sound wirkt körperlich, „klanglich spürbar“ .
Auf der anderen Seite entsteht der Eindruck, dass das Sound Design den Versuch unternimmt, eine Verbindung zum Fantastischen / Mystischen zu schaffen und somit eine akustische Gegenposition zu den „realen“ bzw. glaubhaften Bildern Islands zu entwickeln. Die beschriebenen Geräusche sind oft von übernatürlich-synthetischer Natur, die mit der Realität in einem fernen Verhältnis stehen. Die Geräuschkulisse zeichnet sich dadurch teilweise durch eine Vielzahl unnatürlicher, dröhnender und verzerrter (u.a. metallischer) Basstöne aus, die einerseits ein Gefühl der Entfremdung hervorrufen, andererseits gewisse Ereignisse (oder Halluzinationen) verdeutlichen. Daneben sind die auditiven Halluzinationen weiterhin ständiger Begleiter von Senua und verzerren die Wahrnehmung der Spieler:innen vom Spiel und/oder fungieren zur kognitiven Entlastung zu den visuellen Halluzinationen.
„Entfremdende“ Effekte:
Wie bereits in Hellblade: Senua's Sacrifice haben die Spieler:innen die Möglichkeit, im regulären Gameplay oder in Kampfsequenzen zu „fokussieren“. Es besteht die Möglichkeit, dass entweder eine Interaktion ermöglicht oder die Zeit verlangsamt wird, um Heilung oder einen Angriff zu bewirken. Auch das Sound Design bedient sich dieses Fokus-Moments, um die Aufmerksamkeit der Spieler:innen auf eine spezifische Aktion zu lenken. Dabei erfolgt eine Ausblendung unnötiger Geräusche, insbesondere auch der auditiven Halluzinationen, wodurch die Szene automatisch ruhiger und „fokussierter“ wirkt. Im Kampf-Modus ist zusätzlich ein Rauschen und ein Echo-Effekt zu hören. Wird der Fokus in der Kampfsituation aufgelöst, ertönt ein nahezu explosionsartiges Geräusch, das durch den leise/laut-Kontrast noch gewaltiger bzw. eindrucksvoller erscheint.
Regulärer Fokus:
Kampf-Fokus:
Jede Aktion im Spiel, unabhängig davon, ob es sich um ein Rennen, oder das Öffnen einer Tür handelt, wird von immersiven Interaktionssounds begleitet. Diese generieren nicht nur ein realitätsnahes Sounderlebnis, das bspw. die Materialität eines Objektes näher bringt, sondern geben auch ein akkurates Feedback zu den durchgeführten Aktionen. Im Gegensatz zu seinem Vorgängerspiel ist Senua jedoch des öfteren nicht alleine unterwegs, sondern sie wird stückweise von diversen NPCs begleitet mit denen Senua in Dialoge tritt. Hier wird zusätzlich auf ein Identifikations- und damit Immersionspotenzial gesetzt, indem beispielsweise ein isländischer Akzent verwendet wird.
Senua im Dialog mit einem NPC:
Das erneute Fehlen einer grafischen Benutzeroberfläche oder eines Tutorials führt dazu, dass Spieler:innen sich automatisch auf das Feedback der auditiven Halluzinationen verlassen, die stets das Geschehen oder Verhalten des Avatars (oder der anderen NPCs) kommentieren. Interessanterweise kommt es von den NPCs auch niemals zu „Barks“. Stattdessen ist es eher die Regel, dass sie sich durch gezielte Gespräche auszeichnen, welche dazu dienen, die Spielgeschichte zu erläutern oder eine emotionale Wirkung zu entfalten.
Die Stimmen in Senua's Kopf als stete Feedback-Zentrale:
Audiovisuelle Halluzinationen, insbesondere Videosequenzen, heben sich erneut von der archetypischen Geräuschkulisse der regulären Landschaft ab, indem sie den Fokus auf unheimlich-dröhnende, hallende und tiefe Töne legen, die die Surrealität der Halluzinationen unterstreichen. In vielen Fällen werden auch unnatürliche Klänge eingesetzt, um die Orientierung der Zuhörer zu stören. Gleichzeitig wird das Sound Design meisterhaft verwendet, um Räumlichkeit zu suggerieren und Orientierung zu vermitteln: In der Anfangssequenz, in der ein kenterndes Schiff zu sehen ist, wäre es für den Zuschauer möglich, mit geschlossenen Augen zu erkennen, ob sich die Protagonistin Senua gerade oberhalb oder unterhalb der Wasseroberfläche befindet. Dies liegt an der alternierenden Abfolge von tosenden Flutgeräuschen und dumpfer Unterwasserästhetik.
Schiffsbruch-Sequenz:
In der Regel zeichnen sich dramatisch wichtige Szenen durch ein besonders dynamisches Sound Design aus. Die Geräuschkulisse erzeugt auf diese Weise eine emotionale Wirkung. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Senuas Halluzinationen und die Zwischensequenzen zu erwähnen. Beide evozieren häufig einen psychoakustischen Effekt, der kontinuierliche Spannung und ein permanentes sensorisches „Unbehagen“ erzeugt, das in nahezu jeder Szene präsent und unvorhersagbar agiert. Zudem bilden die Halluzinationen eine zusätzliche Emotionsebene, die die Spielzeit unterbricht und beschleunigt, wodurch akustische dramaturgische Höhepunkte entstehen. Auch die Geräusche der Umgebung werden oft ein dramaturgisches Abbild von Senuas Seelenlandschaft.
Dramatisierung in einer auditiven Halluzination:
Wie im Vorgängerspiel sind die subjektive Wahrnehmung und die Fokussierung auf Senua zentrale Aspekte des Spiels, auf deren Grundlage das gesamte Gameplay aufbaut. An dieser Stelle sei erneut auf die audiovisuellen Halluzinationen von Senua hingewiesen. Abgesehen von visuellen Halluzinationen, die beispielsweise in Form von Videosequenzen auftreten, sind es häufig die Momente des Terrors oder dews Dialogs, in denen die subjektivierenden Mittel des Sound Designs besonders hervortreten. In den besagten Dialogsequenzen, in denen die Protagonistin Senua mit einem Nicht-Spieler-Charakter in ein Gespräch vertieft ist, werden die auditiven Halluzinationen das Gesagte auf unterschiedlichste Weise kommentieren. Dies resultiert in einer Art Doppelerfahrung von Innen und Außen, wodurch Senuas Innenwelt in besonders eindrucksvoller Weise in Szene gesetzt wird. Ninja Theory setzt auch in diesem Fall auf binaurale Klangaufnahmen, um eine 3D-Abbildung von Senuas Innenwelt zu erzeugen. Die akustischen Phänomene wie Stimmen, Geräusche und Echos manifestieren sich auf organische Weise im Raum, was ein Gefühl intensiver Nähe und vollständiger Präsenz erzeugt.
„Stream of Consciousness“ im Dialog:
Ein albtraumhaftes, akustisches Abbild von Senua's Innenleben:
Wie bereits sein Vorgänger überzeugt das Spiel durch eine erstklassige Soundqualität. Es erzeugt ein meisterhaft atmosphärisches und bewusst gestaltetes psychoakustisches Geflecht der bewegten Innenwelt von Senua, das sich beinahe körperlich anfassen lässt.
Wie im ersten Spiel spielt auch dieses Mal das Sound Design wieder eine überragend wichtige Rolle. Allerdings stützt sich das gesamte Gameplay nicht mehr ausschliesslich auf die Macht auditiver Halluzinationen, da es nun mit NPCs greifbare Interaktionspartner gibt. Dadurch haben die Halluzinationen akustisch an Bedeutung verloren. Das Kampfsystem hingegen scheint an Wichtigkeit gewonnen zu haben.