Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


wiki:text:vertiefung:identifizierung

identifizierung und sichtbarmachung des anderen

Die Arbeit des französischen Fotografen Marc Garanger, welcher als Soldat in den 1960 Jahren bei der französischen Armee diente, fordert die Problematisierung von Praktiken der Identifizierung und Sichtbarmachung heraus. Garanger erstellte von 1960-62 um die 2000 Portraitaufnahmen von algerischen Frauen, da die algerische Bevölkerung ab diesem Zeitpunkt durch die französischen Kolonialisatoren gezwungen wurde, Personalausweise (ID cards) mit sich zu führen. Die zu erfassenden Frauen mussten dafür – auch gegen ihren Willen – unverschleiert vor die Kamera treten.
Verschleierung ist kontrovers und kann bspw. als Teil kulturell-religiöser Selbstbestimmung sowie patriarchaler Herrschaft gelesen werden. Diese Form der Entschleierung algerischer Frauen muss aus meiner Sicht als koloniale Herrschaftspraxis gelesen werden, welche Effekte der Erniedrigung, Verletzung und (kulturellen) Vereinnahmung produziert/e. Die Möglichkeit, das Unfassbare und Versteckte durch den Blick zu erfassen, es mit dem eigenen Auge zu identifizieren, geht dabei mit Bestrebungen nach Lesbarkeit und nach Erfassung des Anderen bzw. Fremden einher und nicht zuletzt mit dem Wunsch nach Selbstvergewisserung (vgl. auch Brandes 2010, Brandes 1999). Doch zugleich besitzt dieser herrschende Blick einen grossen blinden Fleck. Der herrschende Blick sieht und ordnet alles um sich herum, aber er sieht sich selbst nicht. Stuart Hall schreibt diesbezüglich über den Britischen Kolonialismus: „Er [die/der/das kolonialisierte Andere] wurde durch das allumfassende ‚Englische Auge‘ in seinem Anderssein marginalisiert. Das ‚Englische Auge‘ sieht alles andere, erkennt aber weniger deutlich, daß es selbst etwas ist, das seinen Blick auf die Welt richtet. Es wird gleichbedeutend mit dem Sehen an sich.“ (Hall 1994: 45).
Einige Beispiele dieser unter dem Titel Algerian Women veröffentlichten Aufnahmen von Garanger hatte ich bereits an dieser Stelle hochgeladen, um sie dann durch ein Foto des Fotografen selbst auszutauschen. Denn für mich stellt sich die Frage, ob es legitim ist, diese Fotos zu zeigen. Werde ich mit dem erneuten Zeigen dieser Bilder nicht selbst zum Komplizen eines westlichen Blick- und Sichtbarkeitsregimes, der nur einmal mehr den Blick frei gibt auf das Geanderte, und die gegen ihren eigenen Willen so gezeigten Personen erneut zu sehen gibt? Ist das Nicht-Zeigen dieser Portraits eine mögliche Form der Kritik an Garangers gewaltsamer Identifizierungspraxis? Oder ist das erneute Unsichtbarmachen dieser Porträtierten auch ein erneutes Unsichtbarmachen kolonialer Gewalt? Ist es besser, die mal trotzigen, mal ängstlichen, mal abweisenden Blicke dieser Porträtierten zu zeigen, welche der Kolonialmacht und ihrem/unserem kolonialisierenden Blick entgegnet werden? Ich habe mich schliesslich dafür entschieden die Porträtierten sowie den weissen Mann, der sonst oft hinter der Kamera unsichtbar bleibt, hier zu zeigen. Leider fehlen uns zur Veröffentlichung der Bilder an dieser Stelle die Bildrechte, doch dieser Link führt zu einem passenden Foto.

wiki/text/vertiefung/identifizierung.txt · Zuletzt geändert: 2012/12/19 21:46 von nlandkam