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Was sind Repräsentationen?

Die im Rahmen dieser Einführung entfaltete Auseinandersetzung mit Repräsentation, Repräsentationskritik und visueller Kultur schliesst an die Denktradition der visual cultural studies an. Repräsentieren kann in diesem Zusammenhang als Praxis verstanden werden, in der Aspekte von Darstellen, Herstellen, (sich) Vorstellen, Vertreten und Ausstellen zusammentreffen. Die Grundidee eines konstruktivistischen Repräsentationskonzeptes ist, dass Repräsentieren eine gestaltende, machtvolle und durch Rahmungen bedingte Praxis ist und kein passives, neutrales und unmittelbares Wiedergeben oder Abbilden. Repräsentationen bringen Bedeutungen und Wissen hervor, indem sie etwas auf bestimmte Art und Weise zu sehen geben, und nehmen dadurch Einfluss auf die Ausgestaltung von Wahrnehmung und Wirklichkeit (vgl. Wenk 2006: 100). Für die Analyse von Repräsentationen werden visuelle Materialien wie Fotografien, Zeitungen, Webpages, Museumskataloge, Ausstellungsrezensionen, Filme (gerade auch mit ihrer Musik), Programmhefte, Werbeanzeigen, Filmplakate, Plattencover, Schulbücher, Ausstellungsdisplays uvm. verwendet und auf ihre Repräsentationsarbeit hin untersucht. Denn in diesen Materialien manifestieren sich die Prozesse des Auswählens, Ordnens, Hervorhebens und Weglassens, welche jemanden oder etwas auf bestimmte Art und Weise dar- und herstellen und somit Dingen eine spezifische Bedeutung geben. Der Soziologe und Kulturtheoretiker Stuart Hall beschreibt Repräsentation als „active work of selecting and presenting, of structuring and shaping: not merely the transmitting of an already-existing meaning, but the more active labour of making things mean“ (Hall 1982: 64). Wichtig ist somit nicht nur die Frage, was wird repräsentiert, sondern auch auf welche Art und Weise, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Interesse geschieht dies. Denn Repräsentation ist nicht die Abbildung oder Widerspiegelung von etwas, das ausserhalb seines Darstellungsprozesses bereits existiert, sondern ein Komplex der Bedeutungs- und Realitätskonstruktion. Das Werkzeug für repräsentationskritische Analysen bilden dabei Begriffe wie Sichtbarkeit, Evidenz, Blick oder Mythos, welche auf semiologischen, psychoanalytischen und diskurstheoretischen Ansätze aufbauen.

Warum Repräsentationen kritisieren?

Repräsentationen sind in der Denktradition der visual cultural studies in Macht- und Herrschaftsverhältnisse verstrickt. Es kann nicht gesagt werden, dass sie per se Macht besitzen, aber dass sich in und durch Repräsentationen Macht entfaltet. Und zwar, da diese Bedeutung und Wissen produzieren, welche Realität mit hervorbringen, Wahrnehmung strukturieren und auf soziale Handlungsweisen von Individuen einwirken – also an der Konstruktion von 'Welt' aktiv beteiligt sind. Diese Produktion von Bedeutungen und Wissen ist jedoch nicht neutral, beliebig oder autonom, sondern mit institutionellen Rahmenbedingungen, mit Ressourcen, mit Interessen und Begehren verschränkt. Repräsentieren heisst nicht, dass alles gezeigt wird oder wie Michel Foucault bemerkt, Repräsentation ist nicht mit Transparenz zu verwechseln. Vielmehr basiert Repräsentieren auf Praktiken des Auswählens, Zusammenfügens, Zitierens, Hervorhebens, Wiederholens und Weglassens.1) Repräsentationen stellen dabei 'Welt' immer in einer bestimmten Art und Weise dar und her, die auch anders sein könnte – was sie angreifbar und kritisierbar macht. Konflikte um Repräsentation entstehen auch dort, wo die Macht des Zu-sehen-Gebens ungleich verteilt ist. Dies ist bspw. der Fall, wenn manche Akteur_innen2) die Möglichkeit haben, Repräsentationen zu produzieren und andere jedoch nur repräsentiert werden, ohne selbst mitbestimmen zu können, was und wer wie dargestellt wird. John Tagg spricht diesbezüglich von einer „social division between the power and privilege of producing and possessing and the burden of being meaning“ (Tagg 1993: 6).
Bestimmte Subjekte, soziale Gruppen, Themen oder Dinge immer wieder auf die gleiche einseitige Art und Weise sichtbar zu machen oder Bestimmtes überhaupt nicht zu zeigen, kann als eine Form der Machtausübung verstanden werden, zu der Stuart Hall schreibt: „Es scheint, dass Macht nicht nur im Sinne ökonomischer Ausbeutung oder physischen Zwangs, sondern auch im umfassenderen kulturellen oder symbolischen Sinne verstanden werden muss. Letzteres schließt die Macht mit ein, jemanden oder etwas auf eine bestimmte Art und Weise zu repräsentieren – innerhalb eines bestimmten ‚Repräsentationsregimes‘; also der Ausübung symbolischer Macht durch Praktiken der Repräsentation“ (Hall 2004: 145f.).

Gibt es gute und schlechte Repräsentationen?

Es gibt keine allgemeingültigen Regeln oder einen Massstab, wann Repräsentationen gut und wann sie schlecht sind. Diese Bewertung ist davon abhängig, aus welcher Position und mit welchem Interesse Repräsentationen herstellt, mitgestaltet, verwendet, verbreitet oder betrachtet werden. Repräsentationen können die Produzent_innen und die Dargestellten auf ganz unterschiedliche Weise (be)treffen. Für Produzent_innen kann die Lesbarkeit ein wichtiges Kriterium sein, also dass für möglichst viele Leute eine Darstellung verständlich ist. Dazu ist es sicher sinnvoll, das Objekt Regenschirm – wie es die Konvention der deutschen Sprachgemeinschaft vorsieht – als Regenschirm zu benennen und bspw. nicht als Stock im Petticoat. Aber wie ist es hinsichtlich der allgemein gängigen und verständlichen Benennungen, die dabei in der Tradition einer sexistischen oder rassistischen Wissens- und Wirklichkeitsproduktion stehen? Gerade in diesem Fall kann eine Repräsentation als 'gut' bewertet werden, die endlich etwas oder jemanden so bezeichnet bzw. darstellt, wie es selbstverständliche Repräsentationsweisen mit ihren sexistischen und rassistischen Einschreibungen eben nicht vorsehen. Ausserdem können 'schlechte' Repräsentationen – also wenn bspw. soziale Gruppen oder Themen nicht oder nur einseitig repräsentiert werden – als eine Herrschaftspraxis begriffen werden, die oft zusammen mit der strukturellen, personellen oder ressourcenbedingten Verunmöglichung von Selbstrepräsentation der Betroffenen einhergeht. Unsichtbarmachung oder Stereotypisierung sind zwei Repräsentationsmodi, durch welche Herrschaftsverhältnisse hergestellt und gefestigt werden können.

Repräsentationskämpfe

Kämpfe um Repräsentation wurden und werden von Aktivist_innen, Wissenschaftler_innen, Künstler_innen, Journalist_innen u.v.a. in politischen, soziokulturellen und akademischen Institutionen und Initiativen organisiert und praktiziert. Die Kämpfe für gewerkschaftliche Organisation, für unabhängige Zeitungen, für ein Wahlrecht für alle, für selbstorganisierte Kunstinstitutionen oder für selbst bestimmte Ausstellungsthemen (vgl. Ault 2002) können als Kämpfe um Repräsentation gelesen werden. Soziale Bewegungen und sich engagierende Initiativen haben im Kontext ihrer Kritik einer (sexistisch rassistisch heteronormativ patriarchal nationalistisch kolonialistisch kapitalistisch strukturierten) Dominanzkultur und Mehrheitsgesellschaft die Frage nach Repräsentation und Repräsentationsverhältnissen eingeschlossen. Ein viel besprochenes Beispiel in diesem Zusammenhang sind die Aktivitäten der international agierenden Bewegung Act Up. Unterschiedliche gesellschaftliche Akteur_innen haben sich 1987 zur AIDS Coalition to Unleash Power (Act Up) zusammenschlossen, um auf die Krankheit Aids aufmerksam zu machen sowie gegen Homophobie und die Kriminalisierung von Schwulen zu kämpfen. Die Proteste bedienten sich dabei auch künstlerisch-aktivistischer Praktiken und repräsentationskritischer Interventionen, um für das Thema Aids eine Gegenöffentlichkeit gegenüber der diskriminierenden staatlichen Politik sowie der einseitigen Medienberichterstattung zu schaffen. Demonstrationen, Placards, Infostände, Plakat- und Kunstaktionen waren einige Mittel, um im Stadtraum und in den Massenmedien Sichtbarkeit zu erlangen. Repräsentationskämpfe können, wie dieses Beispiel mit veranschaulichen soll, Auseinandersetzungen für (mehr) Sichtbarkeit (>>), gegen spezifische Repräsentationsverhältnisse (>>), für politische sowie kulturelle Vertretung und Mitbestimmung und für andere, nicht stigmatisierende Benennungen umfassen. Repräsentationskritische Analysen und Forschungen im sowie ausserhalb des akademischen Feldes waren und sind dabei ebenfalls ein wichtiger Teil dieser Kämpfe um (mehr) Teilhabe, Anerkennung, Gleichheit und Gerechtigkeit (vgl. Hall 2000: 47f.).

Auseinandersetzungen im akademischen Feld

Die Diskussion um Repräsentation hat im akademischen Feld eine lange Tradition und ist Gegenstand unterschiedlicher Felder – wie der Soziologie, Ethnografie, Philosophie, Politik, Kultur- und Kunstwissenschaften oder (Migrations-)Pädagogik. Wichtige Auseinandersetzungen um Repräsentationskritik als Machtanalyse und Herrschaftskritik fanden mit Blick auf visual cultural studies u.a. im Rahmen eines ethnografischen Methodenstreits Mitte des 20. Jahrhunderts., der Arbeit des Centre for Contemporary Cultural Studies sowie feministisch engagierter Kunstwissenschaften statt.
Mit der 'Writing Culture'-Debatte fand in den 1940/50er Jahren eine Auseinandersetzung innerhalb der Ethnografie statt, wo die Praktiken des Beforschens bzw. Beschreibens 'fremder Kulturen' mit repräsentationskritischen Fragen und Ansprüchen konfrontiert wurden. Im Zusammenhang mit dieser sogenannten 'Krise der Repräsentation' (vgl. Berg/Fuchs 1993) wurden Aspekte und Fragen problematisiert, wie: Welche kulturellen Konventionen – also Regeln – rahmen unhinterfragt den Beobachtungs- und Beschreibungsprozess von Ethnograf_innen? Welche Auswirkungen haben ethnografische Beschreibungen bspw. durch ihre machtvolle Konstruktion des 'kulturell Fremden' bzw. des Anderen ('Othering')? Oder wie kann mit dem asymmetrischen Machtverhältnis zwischen den Repräsentierten und den Ethnograf_innen als Produzent_innen der Repräsentationen umgegangen bzw. dieses aufgelöst werden?
Eine weitere intensive Auseinandersetzung um Repräsentation entstand ab den 1960er Jahren ausgehend von der Arbeit der British Cultural Studies und einer konzeptionellen Erweiterung des Begriffs Kultur. In dieser Zeit fand eine wichtige Umarbeitung von Kulturkonzepten statt, welche Kultur nicht länger nur im Bereich der 'Hochkultur' bzw. Künste verortete, sondern Kultur als soziale Praktiken entwarf, welche die ganze Gesellschaft durchziehen und mitherstellen – gerade auch in Repräsentationen von Alltagskultur. Wichtige Arbeit leistete diesbezüglich das Centre for Contemporary Cultural Studies in Birmingham um Stuart Hall, wo u.a. Forschung zu Sub-, Jugend- und Popkultur sowie Massenmedien betrieben wurde. Kulturelle Praktiken und Produkte wurden als Aushandlungsfeld von gesellschaftlicher Hegemonie analytisch betrachtet und durch Untersuchungen – bspw. von Fernsehserien oder Zeitschriftenwerbung – die rassistischen, sexistischen und kolonialistischen Darstellungspraktiken und -politiken dieser alltagskulturellen Repräsentationen offengelegt. Die Cultural Studies verfolgen bei ihrer wissenschaftlich-akademischen Arbeit einen macht- und herrschaftsanalytischen Ansatz, welcher auf die Analyse von Unterdrückungsverhältnissen sowie auf Potentiale der Transgression – also der Überschreitung dieser Verhältnisse – zielt. Gerade Hall stellt dabei die Bedeutung der Bearbeitung und Theoretisierung von Repräsentation bei der Auseinandersetzung mit Kultur, Gesellschaft und sozialer Ungleichheit heraus (vgl. Hall 2000: 34f.).
Eine wichtige Auseinandersetzung um Macht und Repräsentation im Feld der visuellen Kultur entfaltet sich ausgehend von feministisch engagierten Kunst-, Film- und Kulturwissenschaften mit ihren Anschlüssen an die Bereiche Gender, Queer und Postcolonial Studies (vgl. zur Übersicht Paul 2008, Friedrich 1999, Lindner u.a. 1989, De Lauretis 1984). Die Dar- und Herstellung von Körpern, Geschlechtern und Sexualitäten zusammen mit Fragen nach Raum-/Blickkonstruktionen sowie Wissens(chafts)kritik rückten in den Fokus repräsentationskritischer Untersuchungen (vgl. bspw. FKW - Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur). In daran anschliessenden und darauf aufbauenden Studien zur visuellen Kultur werden Fragen nach den Praktiken, Rahmungen und Effekten des Zu-sehen-Gebens, nach regulierter und regulierender Sichtbarkeit sowie Führungs- und Subjektivierungsprozessen des Visuellen problematisiert (Schade/Wenk 2011, Bartl u.a. 2011, Paul/Schaffer 2009, Engel 2009, Schaffer 2008, Adorf 2008, Mirzoeff 2001, Holert 2000, Kravagna 1997, bell hooks 1992).
Auch im Forschungsfeld der Kunstvermittlung findet sukzessive die Frage nach Repräsentation und Sichtbarkeit mehr Beachtung. So kann bspw. auf das Forschungsprojekt Kunstvermittlung zeigen: Repräsentationen pädagogischer Museumsarbeit im Feld der Gegenwartskunst (ZHdK 2011-13) hingewiesen werden.


1)
Vgl. dazu auch die Stellungnahme Sigrid Adorfs für eine (selbst)kritische Kulturanalyse und Repräsentationsarbeit (Adorf 2006).
2)
Ich benutze den Unterstrich zwischen weiblicher und männlicher Endung, um so alle sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten, auch jene abseits der gesellschaftlich hegemonialen Zweigeschlechtlichkeit, sprachlich fassen zu können. Dies wäre sonst nur mittels Umschreibungen möglich. Die Idee und das politische Interesse dahinter ist, durch den Zwischenraum einen Hinweis auf diejenigen Menschen zu geben, welche nicht in das gewaltsame Frau/Mann-Schema hineinpassen oder nicht hineinpassen wollen sowie damit die selbstverständliche Repräsentation und Reproduktion von Zweigeschlechtlichkeit auf sprachlicher Ebene zu unterbrechen (vgl. wikipedia.org/gender_gap).
wiki/text/annaeherungen.txt · Zuletzt geändert: 2012/12/18 00:48 von nlandkam