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botanicula

von Andres Bucher, Anika Weber, Jeremy Petrus

Botanicula

Genre 2D Point & Click - Adventure
Erscheinungsjahr 2012
Publisher Amanita Design, Daedalic Entertainment
Entwickler Amanita Design
Plattformen Windows, Mac, Linux, iOS

Setting

Botanicula spielt auf einem mystischen Baum. Als er beginnt Früchte zu tragen, fällt ein spinnenähnlicher Parasit darüber her. Nur eine einzige Frucht überlebt und wird somit zu der letzten Hoffnung auf einen neuen bwz. weiteren Baum. Es finden sich fünf kleine Wesen zusammen, die auf dem angestammten Baum gelebt haben, um diese Frucht sicher in die Erde zu pflanzen. Dabei müssen sie sich von der Spitze des Baums zu den Wurzeln hinunter begeben und dabei einige Hürden überwinden.

Spielverlauf

Botanicula versucht möglichst ohne Interface auszukommen. Der Spielraum setzt sich aus einzelnen Abschnitte bzw. Screens zusammen. Die Steuerung basiert auf Point and Click und kann sich losgelöst von den Spielfiguren auf den gesamten aktiven Screen und deren Bewohner auswirken. Dies wird benutzt um ausgedehnte Rätsel oder zu schaffen, welche vor allem über Entdecken funktionieren. Findet der Spieler die Lösung lassen sich neue Bereiche erschliessen.

Im Spiel kommt ausser dem Hauptmenü keine Sprache zum Einsatz. „Dialoge“ mit, Geräusche von Baumbewohnern oder Hinweise zur Lösung eines Rätsels werden komplett mit Animation in Verbindung mit Geräuschen dargestellt. Dabei lassen sich Erzählungen von Baumbewohnern in animierten Gedankenblasen oder ihr Verhalten in der Spielwelt unterscheiden.

1. Allgemeine Klangbeschreibung

Botanicula arbeitet mit einer sehr geschlossenen Klangwelt. Hauptbestandteile der Klangwelt ist eine breite akustische Palette an Geräuschen und Klängen. Die Welt lebt vom Kontrast zwischen und der Koexistenz von natürlichen Geräuschen aus der realen Welt und deren Interpretation durch menschliches Voiceacting. Sämtliche Klänge nutzen alles von Filterung und Hall bis zu sehr direkten klaren und unveränderten Aufnahmen. Die Klänge lassen sich nach Funktion aufteilen, aber nicht nach der Art und Weise wie sie daher kommen. Das führt dazu, dass sich Musik, Hintergrund, Mittelgrund und Vordergrund zu einem einzigen akustischen Erlebnis verschmelzen.

2. Funktional-Ästhetische Beurteilung

2.1. Wahrnehmungsorientiert

Feedback (sensomotorisch):

Im Spiel ist das Feedback nicht immer direkt, aber die Grenze zwischen sofortiger Reaktion und/oder Verzögerung ist sehr fliessend, was eine klare Einteilung unmöglich macht. Oft ist es auch ein Spiel zwischen akustischer oder visueller Sofortreaktion.

direktes Feedback – Frosch anklicken

Simulation, “Physikalisierung”, resp. Imitation der physikalischen Welt:

Botanicula lebt vom Spiel zwischen direkter Imitation der physikalischen Welt und der Imitation der physikalischen Welt durch menschliche Geräusche. Dies verleiht einen eigenen Charme und erzeugt eine akustische Welt die zwischen Realismus und Stilisierung schwebt.

Fokussierung der Aufmerksamkeit:

Das Spiel verwendet verschiedene Möglichkeiten und die Aufmerksamkeit des Spielers zu lenken. Dies zum Teil sogar auf Nebensächlichkeiten, da das Spiel vom Entdecken und Verweilen lebt. Diese Möglichkeiten erstrecken sich von grösserer Lautstärke oder anderen Frequenzen, die sich von der Umgebung abheben.

Ausserdem wird die Aufmerksamkeit auch im Inventar auditiv geleitet. Schaut sich der Spieler seine gesammelten Karte (Achievments) an, sinkt die Lautstärke der Spielwelt. Fährt der Spieler über eine Karte erklingen Glockentöne.

Inventar
neue Aufgabe erhalten (sichtbar im Inventar)

Disambiguierung, Verdeutlichung:

Innere unsichtbare Zustände die akustischer Verdeutlichung bedürfen, gibt es nicht wirklich. In die Nähe davon kommen narrative Ereignisse, welche untermalt werden.

Glockenschlag, wenn etwas Neues ins Inventar abgelegt wird

Kognitive Entlastung

Da das Spiel vor allem über das Entdecken und Verweilen arbeitet, ist der Spieler dazu angehalten so viel wie möglich wahrzunehmen und das ohne zeitliche Begrenzung. Daher ist kognitive Entlastung eigentlich nicht gegeben. In diese Richtung geht evtl. der Glockenschlag für etwas Neues im Inventar sein.

Immersion, Abschottung der Wahrnehmung

Alle Geräusche sind imersiv und vermischen sich zu einer einzigen Klangwelt. Die Feedback-Sounds, Musik und akustischen Landmarks funktionieren ineinander als Komposition.

2.2. Bezug Aktion – Klang?

Beziehung Handlung (am Interface) – Handlung (in der Spielewelt) - Klang:

Das Spiel besitzt eine Spanne zwischen isomorphen bis zu nicht isomorphen Geräuschen. Die direkten Klänge sind meist kurz und sofort abrufbar. Die nicht isomorphen Geräusche entwickeln selbstständig, dauern an und können nicht unterbrochen werden.

Frosch anklicken
Froschkonzert

 Freude am sich-selbst-hören:

Der Humor und die Freude kommt je nach Situation eher vom visuellen oder vom akustischen. Es gibt viele Geräusche, die man sich auch einfach gerne anhört.

Salamander in die Luft spicken

Machtdifferential

Ist eine andere Figur bzw. Antagonist stärker klingt sie: tiefer und/oder greller und/oder lauter.

2.3. Bezogen auf Interaktion

Als Kommunikation:

Die Geräusche und Wirkung von Manipulation im Spielfeld zerfliesst von direkte über indirekte Kommunikation in die Information über „das Vorhandene“ in ihrer Reaktion, Beeinflussbarkeit und/oder zeitliche Länge.

In Bezug auf Handlungen:

Durch die Manipulation von Objekten werden immer Geräusche ausgelöst. Diese können sich von kurz angehaltenen Geräuschen bis hin zu aufeinanderfolgende Klänge komplexer Abläufe erstrecken.

Frosch anklicken
Froschkonzert

Viele Manipulationen beziehen sich auf Wesen bzw. Charakteren im Spiel. Jedes davon hat seine eignen Geräusche, die es dabei macht.

angeklicktes Wesen

Als einzige Zeitmanipulation ist das beschleunigte Gehen der Spielfiguren zu benennen, wenn der Spieler mit einem Doppelklick schneller durch den Screen reisen will.

Gehen_1 der Spielfiguren
Gehen_2 der Spielfiguren
Rennen der Spielfiguren

2.4. Bezogen auf Narration & Dramaturgie

Im Spiel gibt es immer wieder kurze Dialog bzw. Erinnerungssequenzen. Diese werden akustisch wie die normale Welt behandelt und in die Umgebung gebettet.

Bericht eines NPCs

Als Dramatisierung funktionieren die Sounds, welche gebracht werden, wenn eine Aufgabe erfolgreich gelöst wurde. Meist folgt auf einen spezifischen Sound auch eine dichter werdende Geräuschkulisse, die das Erfolgserlebnis verstärkt.

normaler Zustand der Geräuschkulisse/Musik
Juhuu_1 (nach gelöster Aufgabe)
Juhuu_2 (nach gelöster Aufgabe)
folgende Veränderung der Geräuschkulisse/Musik

Dramatisierend wirkten die Reaktionen der Spielfiguren auf anwesende aber nicht aktive Gefahren durch die Parasiten und andere Gegner.

Wo der Sound eine grosse Rolle spielt, ist bei der Charakterisierung der Figuren im Spiel. Jeder Charakter hat seine eigenen Geräusche.

die einzelnen Charaktere
Biene (klein)
Biene (gross)
Biene (riesig)

Sämtliche menschlich erzeugte Geräusche sind Interpretationen von realen Klängen oder Metaphern dafür. Sie versuchen zum Teil auch abstrakte Ideen in Geräusche zu festigen.

2.5. Bezogen auf Raum

Im einzelnen Screen funktioniert die Navigation und Orientierung vor allem über die visuelle Ebene. Die Lokalisierung eines Objektes ist durch dessen Geräusch nur eingeschränkt machbar und tritt erst wirklich zu Tage, wenn dieses Objekt sich durch das Spielfeld bewegt.

vorbeifliegende Biene

Das Spiel setzt sich aus einzelnen Screens zusammen. Diese Screens bilden wiederum einen grösseren Level. Dies spiegelt sich auch im Sounddesign wider. Nahezu jeder Screen besitzt eigene, spezifische Geräusche – mitunter auch einen eigenen Soundscape. Dazu gehören Musikstücke, wie auch Figuren dieses Screens, die als Landmarks dienen. Die Screens sind nicht klar abgegrenzt, denn gewisse Geräusche können auch noch in einen anderen Screen nachklingen. Zudem besitzt jeder Level auch einen eigenen Soundscape, der sich über alle Screens dieses Levels zieht. So werden die doch individuellen Screens unter einen Hut gebracht.

sanfter Soundscapewechsel innerhalb der Levels
starker Soundscapewechsel von einem Level in einen anderen
starker Soundscapewechsel von einem Level in einen anderen

Löst der Spieler eine bedeutende Aktion aus, verändert sich die Hintergrundmusik. Der Soundscape nimmt an Dichte zu, kann später aber auch in den Normalzustand zurückspringen.

Soundscape normal
Soundscape nach Erfolg

3. Komposition / Mix / Ästhetik

Botanicula besitzt eine riesige Palette an einzelnen Sounds. Das Spiel benutzt und platziert diese Menge an Geräuschen auf verschiedenste Weisen über die Lautstärke, den Filter, das Übereinanderlegen, das Fade-in bzw. Fade-out. All diese Parameter greifen ineinander und verweben die individuellen Geräusche zu einer Einheit. Daraus resultiert ein sehr dichtes und rundes Erlebnis – die Sounds stehen nicht alleine sondern konstant im Kontext zu allen anderen. Dabei kann Einiges an Klarheit in Kommunikation verloren gehen, ist aber in dieser Anwendung kein Problem.

4. Bewertung

Die Geräuschkulisse in Botanicula ist sehr verspielt. Die Dinge klingen nicht nur, um die Welt authentischer zu machen, sondern weil sie gerne klingen. Der Spieler befindet sich in einem ständigen Neuentdecken von Geräuschen.

Das Spiel ist ein grosses auditives Erlebnis. Mitunter verliert man dadurch aber auch den Fokus. Schnell vergisst man, dass man eigentlich Rätsel zu lösen hätte. Doch dessen waren sich die Designer wohl durchaus bewusst, weshalb die Rätsel auch sehr leicht ausgefallen sind.

Wir empfinden die Geräuschwelt in Botanicula als sehr lebendig. Man taucht in diese Welt ein und entdeckt immer wieder schöne Details. Man bewegt sich gerne durch die mitunter laute und dichte Welt.

5. Vergleich von Botanicula zu Machinarium

Unterschiede

In Botanicula wird mit dem Sound viel bewusster Umgegangen als noch in Machinarium. Der Sound wurde als künstlerisches Medium entdeckt und genutzt. Dadurch hat Botanicula eine neue Ebene erreicht. Wurde bei Machinarium nur im visuellen experimentell umgegangen, ist dies bei Botanicula nun auch auditiv der Fall. So wurde auch mit dem in Machinarium funktionalen Sound gebrochen. Plötzlich tragen die Geräusche nicht einfach nur Information, sondern übermitteln auch starke Emotionen. Botanicula hat Lust am Klingen bekommen.

Auch beim Zusammenspiel von Musik und Geräuschkulisse wurde ein neuer Level erreicht. Bei Machinarium waren die Geräusche vorwiegend physikalisierend, kommunikativ. Sie sind klar an die Rätsel und die Zwischensequenzen gebunden. Die Musik hingegen sorgte für die nötige Atmosphäre. Bei Botanicula verschmelzen die beiden Ebenen allerdings stark. Geräusche sorgen für Atmosphäre, die Musik kommuniziert mit dem Spieler. Musik und Geräuschkulisse werden untrennbar miteinander verwoben.

Und auch den Raum entdeckt Botanicula. Zwar lassen sich auch hier nicht alle Objekte klar lokalisieren, doch Objekte die sich weiter hinten befinden klingen dumpfer, Objekte aus dem Nachbarsscreen klingen nach. Die klaren Grenzen zwischen den Screens verschwimmen, während sie bei Machinarium noch viel klarer ersichtlich waren.

Gemeinsamkeiten

Bei den ganzen Unterschieden, gibt es aber auch einige Gemeinsamkeiten. Denn glücklicherweise wurden die Stärken des Sounddesign von Machinarium übernommen und erweitert. Die neuen Geräusche des Inventars brechen nicht die Immersion, sondern unterstützen sie, da sie in die Klangwelt eingebettet sind. Botanicula bedient sich auch weiterhin keiner wirklichen Dialoge. Die Figuren unterhalten sich wie in Machinarium in einer infantilen Sprache und werden durch diese Charakterisiert.

Und auch die Atmosphäre ist vergleichbar zu Machinarium, wenn auch noch stärker kontrastiert. Die feindlichen Regionen klingen schön bedrohlich, ohne die an sich heitere Stimmung des sonstigen Spiels zu stören. Die ruhigen Gebiete sind noch dichter an Geräuschen und erfreuen das Spielerohr. Das Spiel gleicht geradezu einer kindlichen Fantasie.

Fazit

Allgemein lässt sich eine deutliche Entwicklung in der Soundgestaltung ausmachen. Trotzdem bleiben die Designer von Amanita Design ihren Prinzipien treu. Sie probieren neue Sachen aus, ohne ihren individuellen Stil völlig ausser acht zu lassen.

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